Ich will die Ente nicht zu sehr dem hohen, korrosionsfördernden Salzgehalt der Nordseebrisen aussetzen. Daher fahren wir ab dem nahen Bahnhof Klanxbüll mit dem Zug der NOB (Nord-Ostsee Bahn; "Sylt Shuttle"aus Hamburg kommend >>>), der uns in einer halben Stunde über den Hindenburgdamm nach Westerland, den Hauptort der Insel, bringt. Als wir den Bahnhofsvorplatz betreten, wissen wir, dass der Wind unser heutiger Begleiter sein wird. Solange es kein Gegenwind ist...
Gleich neben dem Bahnhof mieten wir zwei E-Bikes (um akzeptable € 20.- pro Rad). Für mich eine Premiere: ich bin noch nie elektrisch geradelt. Die Technik scheint kompliziert, doch ich lerne schnell. Wenn man die Revolverschaltung eines 2cv beherrscht, schafft man auch die LCD-Konsole am Lenker. Wir fahren los, Richtung Strand. Mein Rad startet flott, die Leute mustern mich. Nicht wirklich begeistert oder anfeuernd. Naja, eben norddeutsch unterkühlt. Ich merke etwas spät: wir sind in der Fußgängerzone.
Eigentlich wollten wir von Sylt direkt nach Hamburg. aber da stieß ich
auf den Blog meines Freundes und Reisejournalisten Karl-Heinz Jeller „Ferien im
Wattenmeer“ (>>>). Auf seine „zehn grünen Palatschinken“, die von den Gezeiten und
Sturmfluten gebeutelten „Halligen“-Inseln. Sein Bericht machte uns neugierig
auf diese eigenartigen Marschland-Aufschwemmungen, auf noch mehr Wattenmeer und
nordfriesische Küste. Als typisch mitteleuropäischer Vertreter eines
Bergvölkchens (mit ausgeprägter alpiner Praxis – also Hütten- und
Heurigenbesuche zwischen Kahlenberg, Leithagebirge und Hohen Tauern) reizt mich
natürlich die Besteigung einer nördlichen Warft und eine kleine Jause auf der
Bergstation. Und als Entenfreund lechze ich schon lange nach einer
freundschaftlichen Begegnung mit der auf den Halligen vorkommenden
Brandente.
Die Palatschinkenfähre startet bereits um 09.15, somit müssen wir unseren Gasthof früh verlassen. Doch die Wirtin schafft es, uns rechtzeitig ein richtiges Frühstück und
eine fast richtige Abrechnung vorzubereiten. Über das uns schon vertraute
Klanxbüll, dann Niebüll und Bredstett, erreichen wir die Küste und zeitgerecht
den kleinen Hafen von Nordstrand. Hier gibt
es bereits den ersten Höhepunkt des Tages: ich bin sicher der erste 2cv-Pilot,
der in Strucklahnungshörn – ich wiederhole: Strucklahnungshörn – stoppt. Die
Fischbrötchenbude am Ableger („Letzter Fischimbiß
vor der Insel Pellworm“) wird vorerst noch ignoriert.
Der Adler hat mehr PS als die Ente... |
Strucklahnungshörner Fischbrötchen |
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Wir wechseln von unserer Ente auf einen anderen Transportvogel, besteigen
den „Adler Express“, unser Fährschiff nach Hooge, der „Königin der Halligen“. Drei
Busse auf dem Parkplatz haben es uns schon ahnen lassen: das Schiff ist voll.
Mehrere Seniorengruppen streiten sich um die windgeschützten Sitzplätze im
Inneren und um die Marmeladeportionen des im Ausflugspauschalpreis inkludierten
Seemannsfrühstücks. Wir lassen uns auf dem offenen Schiffsheck nieder, genießen
Aussicht, Sonne, Möwengeschrei. Mein Puls bleibt stabil: die Nordseeluft bringt
zwar den Kreislauf in Schwung, doch der unstarke Kaffee an Bord gleicht dies
sofort aus.
Das Schiff kann im Wattenmeer nur in den früheren Flussrinnen fahren,
die Priel genannt werden, sonst ist das Wasser überall zu seicht. Während der
Überfahrt lernen wir: Hallige sind eigentlich keine richtigen Inseln, sondern
erdgeschichtlich junge Aufschwemmungen. Hier im Wattenmeer von
Schleswig-Holstein gibt es zehn. Wir passieren zuerst Pellworm, dann die winzige Hallig Gröde und hören, dass die einzige
Schule (für vier Schüler) vor zwei Jahren schließen musste. „Unsere“ größere Hallig Hooge nähert sich, deutlich kann man die Häuser auf den Warften
(ca. 5 Meter hohe künstliche Aufschüttungen als zusätzlicher Hochwasserschutz) erkennen.
Wir kommen pünktlich
an, haben nun etwa drei Stunden Zeit, Hooge zu erforschen. Wir zahlen unseren
Touristenbeitrag, einen Halligtaler (zufällig ist der Kurs zum Euro heute 1:1)
und verzichten auf die zur Hallig-Rundfahrt bereit stehenden Pferdekutschen und
günstig anzumietenden Fahrräder. Bei der Wanderung zur Hauptwarft der „Insel“
verspüre ich ein ganz leichtes Ziehen im rechten Knie. Eine Erinnerung an die
gestrige Radtour? Hoffentlich beeinträchtigt mich dies nicht nachmittags beim
Bremsen, wenn ich wieder einmal die Urkräfte des 2cv zügeln muss.
Wir spazieren an der kleinen Häusergruppe der Backswarft vorbei, unser
Ziel ist die bedeutendste, die Hanswarft. Noch bevor die Pferdekutschen von der
Besichtigung der Kirchwarft ankommen, haben wir schon einen
Orientierungsrundgang gemacht. Und lassen uns fast erschöpft im Garten des
Gasthauses „Zum Klabautermann“ nieder. Umgeben von Blumen und Reethäusern. Zeit
für einen Halligen-Frühschoppen. Mit einem Bier und – Abwechslung muss sein –
mit einem von der Wirtin in charmantem Plattdeutsch überreichten Krabbenbrötchen.
Die Kaffeetasse hat sich irrtümlich ins Bild geschlichen |
Wir erreichen pünktlich das Festland. Haben für unsere Fahrt nach
Hamburg-Altona mit rund 3,5 Stunden mehr als ausreichend Zeit. Falls es keine Unfälle und Staus gibt.
Daher treibe ich unsere Ente ein bisschen mehr als geplant an, nutze auf der
Landstrasse auch öfter den schon fast als „Overdrive“ zu bezeichnenden 4.Gang.
Wir sehen ein letztes Mal das Wattenmeer, bedauern bei der Durchfahrt von
Husum, keine Zeitreserve mehr zu haben. Gerne hätten wir die alte Innenstadt und
das Theodor Storm-Haus besucht. Und im stimmungsvollen alten Hafen, den wir vom
Auto aus sehen können, ein
Krabbenbrötchen probiert.
Doch wir
müssen weiter. Die Ruhe ausstrahlende Nordfriesenlandschaft, der Fahrtwind und
das tiefe Brummeln der 28 PS lassen aber keinen (Zeit)Druck
aufkommen. Rechts geht es nach Büsum. Von dort stammen die Krabben, die
ich im ersten Brötchen unserer Reise in Warnemünde gegessen habe. Erst neun Tage her, aber eine subjektive
Ewigkeit. Der Ort nennt sich „Tor zum Wattenmeer“. Mit breitem Strand, Uferpromenade und bei Ebbe
(wir wissen seit gestern: mittags) ein Paradies zum Wattspaziergang
(>>>) Fast unmerklich geht nahe der Stadt Heide die Landstraße in die A 23
über. Rund 90 Kilometer düsen wir nun auf der teilweise recht dicht befahrenen
Autobahn nach Hamburg. Nachdem ich
ja relaxt und bei unserem Tempo nicht richtig gefordert bin, habe ich auch
Gelegenheit, die langsam vorbeiflitzenden Verkehrstafeln und Ortsschilder näher zu
studieren. Ich entdecke die Ausfahrt nach Wacken. Nur fünf Kilometer von hier liegt diese kleine Ortschaft, in der sich vor genau einer Woche 80 000 Heavy Metal-Fans trafen und im Schlamm (dieselbe Regenfront, die wir in Stralsund und Ahlbeck hatten) versanken. Und ich stoße auf leicht irritierende Ortsankündigungen wie Brunsbüttel
und Kaaksburg. Durch das aufgeklappte Dach der Ente dringen aber höchsten ein
paar Düngerwölkchen von den nahen Feldern…
Zwei
Höhepunkte habe ich in Erinnerung: die Fahrt über die 56 Meter hohe Brücke
Hohenhörn, die uns über den Nord-Ostsee-Kanal führt. Dieser fast 100 Kilometer
lange, spektakuläre Wasserweg, der die Ost- mit der Nordsee verbindet, erspart den
Frachtschiffen einen fast 500 Kilometer langen Umweg über Dänemark. Locker
überfliegt unser 2cv-Dreamliner zwei Hochseeschiffe unter uns. Irgendwie ein Abschied
von zwei Meeren, die wir während der letzten zehn Tage kennengelernt haben. Das zweite
Highlight: erstmals während der Reise überhole ich einen BMW. Er ist irgendwie hellgiftgrün,
das Schiebedach des Coupes ist geöffnet. Der Fahrer hat die Geschwindigkeit an
sein Alter angepasst. Er fährt 70, damit seine (im Vorbeifahren deutlich
erkennbar gefärbten) rotbraunen Locken im Fahrtwind nicht zu sehr in Unordnung
geraten. Ich bin sicher: das wird für heute, für 2015, wohl der einzige
überholte BMW bleiben.
Wir haben
Glück, größere Baustellen und Staus gibt es nur auf der Gegenfahrbahn. Wir
erreichen die Elbmetropole flott und problemlos. Unser Navi dirigiert uns zum
nahen Bahnhof Altona, wo wir um 17.30 unsere ArgENTa - natürlich unter anerkennenden bis
begeisterten Blicken der Mitarbeiter und Mitreisenden - bei der DB-Autozugstelle
abstellen.
Wir kennen Hamburg
und wollen eigentlich nur Jochen, langjähriger Freund und Reisebürokollege, treffen.
Und haben für das Wiedersehensbier – nicht ganz uneigennützig – das Hardrock
Cafe an den St.Pauli-Landungsbrücken vorgeschlagen. Diese liegen auch nicht
weit von Altona, wo wir ab 19.45 unsere Ente auf den Zug verladen müssen. Da wir für das
Treffen etwas zu früh dran sind, stoppen wir unser Taxi schon vor Brücke 10. Denn
da ist noch die kulinarische Empfehlung eines anderen Freundes, Reisejournalist
und 2cv-Gefährte in Kambodscha, Claudius Rajchl, der uns den wohl
meist publizierten Geheimtipp verraten hat: die Fischbrötchenbude auf der
Landungsbrücke 10 (>>>) Sie ist nur angenehme 300 Meter (bzw. vier Landungsbrücken)
vom Hardrock entfernt.